Hirni

Wenn man sich auf das eigene Hirn nicht mehr verlassen kann, wird das Leben schwieriger. Vor allem dann, wenn man seinen Kopf betasten kann und dabei Wülste vorfindet, die entfernt an einen Klingonenkopf erinnern.

Das Bild stammt von der Site Memory Alpha und aus der Serie STAR TREK und zeigt einen Klingonen mit Kopfwulst.

Natürlich sieht man von außen nicht allzuviel von meinem geöffneten Kopf, und wie wir wissen, fühlen sich die Dinge immer größer an als sie sind – der Größenvergleich fehlt. Aber dieser äußere Anschein verstärkt das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. Es ist nicht normal, dass man eine Narbe auf dem Kopf hat, unter der sich ein Stück Schädeldecke wieder an den Rest des Kopfes heranwächst. Man wird vielleicht mißtrauischer, was eigene Entscheidungen betrifft. Man guckt zwei mal öfter nach, ob der Wasserhahn zugedreht ist, und – man fragt sich öfter, ob das Kopfweh vielleicht doch von einem neuen/alten Tumor kommt. Und was das bedeuten könnte.

Kommt zu all dem auch noch die Wirkung eines Antidepressiva, das tatsächlich sehr stark ist und den Geist zunächst vor allem ruhigstellt, werden die wenigen, aber schreckenden Erinnerungen an die Zeit vor der Hirn-OP wach. Abwesenheit. Vergesslichkeit. Desorientierung. Bei einem Ausflug im April, der mich eigentlich nur schnurgerade von der Klinik in Richtung Ort brachte, habe ich mich damals verlaufen und die Orientierung verloren. Ich wurde panisch, weil ich plötzlich zwar noch sehen, aber nicht mehr einordnen oder erkennen konnte. Häuser, Straßen, Schilder – alles war nur noch Hintergrundrauschen und nicht mal mehr ansatzweise hilfreich. Und gleichzeitig wurde ich von einer perversen Art Ruhe erfasst, war fast sicher, dass das hier und jetzt endete mit meinem Verstand. Ich war beinahe sicher, dass ich verrrückt wurde. Dement vielleicht. Da wusste noch niemand von dem Tumor in meinem Kopf und der eingedrückten rechten Gehirnhälfte.

Es war pervers beruhigend, dass mein Hirn ab sofort nur noch schwimmende Masse im Behälter Kopf sein würde. Nicht mehr ein bisschen unsicher, nicht mehr ein bisschen ohne Kontrolle, sondern ganz und gar weg von jeder Wahrnehmung und der Möglichkeit, zu entscheiden. Denken, wenn es eingeschränkt wird, kann grauenhaft sein. Dann lieber gar nicht mehr bewusst sein.

Aber das kam ja anders. Statt vor mich hin zu siechen (und nichts anderes habe ich bis nach der OP gemacht – die Bilder aus der Zeit sind für mich schrecklich anzusehen und die wenigen Erinnerungen verdränge ich sofort wieder) und auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, erholte sich mein Hirn von der mechanischen Quälerei, die so lange Zeit unentdeckt stattfand.

Heute bin ich nicht desorientiert oder vergesslich, aber unsicher. Ich laufe vor Tische, deren Position ich kenne, schütte mir beim Kochen Wasser über den Leib, vertippe mich ständig oder mache ähnliche, vor allem nachlässige Dinge. Das ist auf das Antidepressiva zurückzuführen und – sagt mein Arzt – kein Grund zur Beunruhigung. Das wird sich geben.

Und trotzdem bleibt da ein Rest von … und der wird immer bleiben. Wenn das überhaupt geht, dann beobachte ich meinen Verstand mißtrauisch. Wie gesagt: diese Unsicherheiten geben sich nach einer Zeit der Gewöhnung an das Medikament.

Das Leben ist durch diese Erfahrungen schwieriger geworden, keine Frage. Aber bis hierhin hat mein Hirn es geschafft, sich von dem Ganzen zu erholen. Das Ding ist zäher, als ich dachte. Es wird also weiter aufwärts gehen.

4 Reaktionen zu “Hirni”

  1. LastZolex

    Und auch wenn ich nicht weiss ob es Dich ein wenig beruhigen kann oder nicht: auch anderen passieren solche Dinge wie Vergesslichkeit, Umrempeln bekannter Gegenstände, sinnloses im Kreis drehen, weil man den Faden verloren hat…

    Nur die meisten haben nicht Deine Erfahrungen im Gedächtnis und ordnen dies nicht so ein wie Du.

    Wenn Dir das nächste mal die Kippe in den Rotwein fällt, dann denk einfach „es gibt noch mehr Deppen auf der Welt, ich bin nicht alleine“… darüber hinaus solltest Du von Kippen und Rotwein sowieso die Finger lassen… passt gar nicht zu Deiner Lunge und den Medikamenten!

    Und da Du mich ja für meine derben Scherze kennst… sei froh, dass sie Dir nicht das hier angetan haben:

    http://www.nerdcore.de/wp/2008/09/23/cookie-monster-slayer/

    Wenn das zu pietätlos war, dann hau mich! 😉

  2. virra

    LastZolex, die Frage ist doch, ob er sich nicht vielleicht so: http://img2.abload.de/img/bild5s2s.png fühlt …?

    Also ich kann das Misstrauen bei Aussagen wie dieser: „…kein Grund zur Beunruhigung. Das wird sich geben.“
    durchaus verstehen. Ich misstraue solchen Sprüchen, obwohl mir nix fehlt.

    Aber wenn es dann am Ende doch stimmt, okay. Vielleicht ist die Beschäftigung mit dem Gewesenen und das Misstrauen auf die Dauer gar nicht mal so falsch. Wenn du mit dir selber wieder im Reinen bist, wird sich das bestimmt auf ein leises Grundrauschen reduzieren. Hoffentlich.

  3. Alfred Lohmann

    @virra: Genau so fühl ich mich manchmal 😀

  4. LastZolex

    Yo, genau das meinte ich… „Cookie Monster Head on a Stick“… auch ich fühle mich manchmal so, siehe den Nerd Link in meinem Posting… nur sind die Monster Slayer nur selten so weiblich und so hübsch! 😀