I. Ankunft

Es kann sein, dass ich hier Zeiten durcheinanderbringe. Dann korrigiert mich bitte in den Kommentaren, Familie.

Familie

Ich schätze, ich sollte den Begriff Familie mal definieren: Das sind diejenigen, die in der letzten Zeit vor allem persönlich, also aus meinem direkten Umfeld, da waren und sind: Pe, Pe und nochmal meine kleine geliebte Schwester; Uli (und auch Maria); Schnuppsi, Rainer, Ilka, Gabi, Elke, meine vermisste DRK-Ria, Jost, Bianca, Lars, Mike, Bettina, Tina.

Natürlich ihr aus meiner virtuellen Welt und von weiter weg (ich hab dich lieb, Sonne). Hab ich jemand nicht erwähnt? Mein Hirn ist manchmal ein Sieb, wo an den unmöglichsten Stellen Lücken sind.

Als ich hier vor drei Wochen aus dem Krankentransport im Rollstuhl vor die Tür gefahren wurde, habe ich erst mal geheult. Sagte Pe, dass das jetzt das Haus sein würde, in dem ich sterbe.

In der Heliosklinik hatte ich immer mehr abgebaut, körperlich und geistig, seit ich wusste, dass da „medizinisch“ nichts mehr zu machen sei. Ich konnte n icht allein aufs Klo, nicht wirklich aus dem Rollstuhl, musste mir bei allem helfen lassen, und wurde – denke ich – da aber auch nicht richtig versorgt.

Und jetzt war ich hier, mit dem „never come back“-Stempel versehen. Ich gab mir eine Woche, zehn Tage vielleicht, bis ich sterben würde. Dann passierten ein paar Dinge. Der Doc sprach mit mir, erklärte mir, was man hier tut, dass und wie ich sterben würde. Versprach mir, dass ich nicht krepieren, nicht ersticken würde und nahm mir damit auf einmal zwei große, die größten Ängste. Meine Schmerztherapie begann. Wann immer ich brauchte, wollte – ich bekam Schmerzmittel, die wirkten. Seit Monaten war ich endlich über längere Zeit schmerzfrei.

Das Zimmer, das ich bezog, war sauber, nicht kalt, kein Durchzug. Ich war so glücklich auf einmal, dass ich wieder in Socken herumlaufen oder mich schlicht entspannt hinsetzen konnte, ohne zu frieren … Rauchverbot im Zimmer, und ich schlief gleich ganz anders. Andere, angenehme Gerüche … Aber noch immer war ich eher hilflos. Und da kommt die Besonderheit eines Hospiz‘ wie dem Haus Franz zutage: Die Pflege hier hat Zeit. Den Tagesablauf, die Art und den Umfang der Hilfestellung bestimmt nicht ein Plan aus den vielleicht 80ern wie in den meisten Kliniken (behaupte ich mal frech), sondern der Patient (hier: Gast). Man hat Zeit, auch für Gespräche, für das Loswerden von Ängsten. Besucher, Angehörige werden integriert, sind Teil – und nicht etwas, das nur nervige Fragen stellt oder den Ablauf stört.

Es hat eine Zeit gedauert, zu akzeptieren, dass ich sterben werde, keine Frage. Geholfen hat mir vor allem die Beschäftigung mit meiner Krankheit, in Gesprächen. Ich entdeckte, dass ich Zeit hatte, mich in sicherer Obhut zu verabschieden. Von meiner Familie, von Pe. All der Ballast, all die Sorgen, all die Geldnöte, den ganzen Bürokratiekram, den ganzen Kampf um das kleine bisschen Dasein hinter mich zu lassen. Ich fand sowas wie inneren Frieden. Nicht leicht für meine Familie, mit meinem Humor und meiner Offenheit zu einem Tod klarzukommen anfangs, aber mich hat das zusätzlich beruhigt.

Alles das, was ich vorher an Ängsten hatte, war weg. Meine ständigen Fahrten mit dem Rettungswagen, die schlimmen Erlebnisse in der Heliosklinik, die Zuhause … Hier kümmerte man sich um mich – nicht um meine Versichertenkarte. Ich brauchte nicht mal um Hilfe zu rufen, immer wieder kamen Schwestern, Pfleger einfach nur, um nach mir zu sehen. Ich war sicher aufgehoben. Natürlich hatte und habe ich nach wie vor Angst. Aber, nochmal: Die Gespräche mit dem Kekse stibitzenden Doc, der „normale“ Umgang mit dem Sterben, die Offenheit, das rührende Umsorgen durch die Pflege, das Wissen darum, dass man mir hier einen restlichen, schönen Lebens“abend“ macht und machen will(!), ist der Schlüssel. Das entspannt auch meine Familie, meine Pe sichtlich. So ein, dieses Hospiz ist also nicht nur für den Sterbenden, sondern auch für die, die Bleiben, wichtig.

[Mehr später]

4 Reaktionen zu “I. Ankunft”

  1. venus

    Ich freu mich, das es dir da so gut geht!
    Ist auch für mich, die ja doch sehr weit weg ist und nicht wirklich für dich da sein kann, sehr beruhigend zu hören.

  2. Alfred Lohmann

    Nicht ganz richtig. Ihr seid ja für mich da. Erinner dih an den Hilferuf von Pe, als ich nur noch heulte und sie sich sorgte und Angst um mich hatte – wie viele da anriefen, sich meldeten, Pe beistenden … „Help is coming“ rührt mich immer noch zu Tränen. Also: Unterschätze euch als Hilfe nicht, v. Weit weg kann und ist in dem Fall vor allem auf das Physische bezogen 🙂

  3. qba

    Schön, dass es so einen Ort noch gibt.

  4. TheLastZolex

    Es berührt mich sehr, das zu lesen, und ob Du es glaubst oder nicht, es hilft mir auch…

    Ich habe immer gesagt, ich habe keine Angst vor dem Tod… aber eine elende Angst vor dem Sterben.

    Zu wissen, dass man nicht zwangsläufig in der Maschinerie eines Krankenhauses untergehen muss, wenn klar ist, dass man keine Alternative mehr hat, das gibt ein wenig Ruhe.

    Danke dafür…